Die Tiefenstrukturen des Unterrichts bestimmen über den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler!

Zahlreiche empirische Meta-Studien haben versucht, Kriterien ausfindig zu machen, die für den Lernerfolg im Unterricht besonders ausschlaggebend sind. Als wesentliche Differenzierung hat sich bei diesen Kriterien die Unterscheidung in Sicht- und Tiefenstrukturen durchgesetzt. Der Erziehungswissenschaftler Prof. John Hattie weist den sogenannten Sichtstrukturen (z.B. Klassengröße, Schulform, Frontalunterricht, Sozialformen) in seinen Meta-Studien eine vergleichsweise geringe Effektstärke auf den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler nach, während die sogenannten Tiefenstrukturen (z.B. Klassenführung, kognitive Herausforderung, Feedback) einen vergleichsweise hohen Effekt auf den Lernerfolg zu haben scheinen.

Während die Sichtstrukturen sich auf die übergeordnete Organisation des Unterrichts beziehen und unmittelbar beobachtet werden können, beschreiben die Tiefenstrukturen die Lehr-Lern-Prozesse und den Umgang mit den Lerninhalten. Da die Tiefenstrukturen häufig nicht unmittelbar beobachtet werden können, stehen meist die Sichtstrukturen im Fokus unterrichtlicher Reflexion. Dieser Beitrag stellt die Tiefenstrukturen des Unterrichts in Form der drei Basisdimensionen von Unterrichtsqualität vor. Dieses Modell stellt eine theoretisch und empirisch sehr gut fundierte Systematisierung dar und gilt als weithin akzeptiert.

(vgl. Seidel, Shavelson 2007; Baumert u.a. 2010; Kunter, Trautwein 2013; Köller 2014)

Basisdimension: Effektive Klassenführung

Unter effektiver Klassenführung werden alle Maßnahmen zusammengefasst, die dem Ziel dienen, ein störungsfreies, zeiteffizientes und zielgerichtetes Lernen zu ermöglichen. Eine Effektive Klassenführung kann daher als Grundvoraussetzung für den Erfolg von Unterricht gesehen werden.

Effektive Klassenführung ist dabei nicht mit einem autoritären Unterrichtsstil zu verwechseln. 

Schulisches Lernen findet in einer komplexen sozialen Situation statt. Diese komplexe Unterrichtssituation äußert sich in…

  • Multidimensionalität: Im Unterricht finden viele Dinge statt und die Lehrkräfte müssen auf eine Vielzahl von Reizen reagieren.
  • Simultanität: All dies Dinge finden gleichzeitig statt und erfordern eine unmittelbare Reaktion der Lehrkräfte.
  • Unvorhersehbarkeit: Lehrkräfte können all diese Dinge nicht vorhersehen und somit in ihrer Unterrichtsplanung nicht im Voraus berücksichtigen. Einige Entscheidungen müssen somit unmittelbar im Unterricht getroffen werden.
  • Öffentlichkeit: Lehrkräfte agieren ständig unter der Beobachtung der gesamten Klasse.
  • Vorgeschichte: Jede Unterrichtssituation ist kontextgebunden und bauen aufeinander auf. Ereignisse werden stets vor dem Hintergrund vorangegangener Ereignisse interpretiert.

(vgl. Doyle 1986)

Diese komplexe Situation zu koordinieren und zu steuern, wird als Klassenführung (engl. Classroom Management) bezeichnet. Sie hat das Ziel, die Lernzeit (Unterrichtsstunde) optimal zu nutzen und Zeitverluste durch Störungen und nicht lernbezogene Aktivitäten zu vermeiden. Hierbei geht es weniger um die Reaktion auf als viel mehr um die Prävention von Unterrichtsstörungen. Durch die frühzeitige Etablierung von Routinen und Regeln sowie die Gestaltung fließender Übergänge im Unterrichtsgeschehen und den konsequenten Umgang mit Störungen können Unruhen langfristig bereits im Vorfeld verhindert werden. Meta-Studien erfassen für die effektive Klassenführung einen deutlich positiven Effekt mit einer mittleren Effektstärke von d=0.58.

Basisdimension: Kognitive Aktivierung

Die kognitive Aktivierung im Unterricht bestimmt die Qualität der Auseinandersetzung der Lernenden mit den Lerninhalten und zielt darauf ab, bei Schülerinnen und Schülern aktive Denkprozesse auf einem individuell angemessenen Niveau zu ermöglichen, sie herausfordern und motivieren.

Die kognitive Aktivierung hat einen großen Einfluss auf den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler. Hierbei geht es insbesondere um das Anknüpfen an eigene Erfahrungen, um subjektiv bedeutungsvolle Lernanlässe zu schaffen. Lehrkräfte sind verantwortlich für die Auswahl und Sequenzierung kognitiv herausfordernder Aufgaben, …

  • die an das Vorwissen der Lernenden anknüpfen.
  • die komplex sind und die Lernenden herausfordern, weil sie nicht einfach durch abrufbares Wissen beantwortet werden können.
  • die es erforderlich machen, vorhandenes Wissen auf neue Situationen anzuwenden (Transfer).
  • bei denen Lernende ihren Lernprozess selbst steuern und ihr eigenes Lernen und ihre Lernstrategien reflektieren.

(vgl. Lipowsky 2009)

Dieser kognitive Anspruch lässt sich auch auf Unterrichtsgespräche übertragen. Es ist besonders wichtig, Fragen zu stellen, die die Lernenden kognitiv herausfordern – es gilt: Qualität statt Quantität. Es gilt, die Lernenden zum diskutieren über unterschiedliche Standpunkte und Sichtweisen zu motivieren sowie Begründungen einzufordern. Schülerinnen und Schüler dazu aufzufordern, Lernprozesse zu erklären und zu strukturieren, hilft beim Aufbau meta-kognitiver Strategien und Lerntechniken. Diese sind wesentliches Merkmal der kognitiven Aktivierung. Um die kognitive Aktivierung dauerhaft auch beim Üben gewährleisten zu können, sind Variationen und Herausforderungen bei Übungsaufgaben unerlässlich. Aufgaben, bei denen neue Lösungswege gefunden werden müssen, haben einen deutlich größeren Lerneffekt. In den Meta-Studien von Hattie wird für das Problemlösen eine positive Effektstärke von d=0.61 belegt. Meta-kognitive Strategien erzielen einen sehr starken Effekt von d=0.69.

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Basisdimension: Konstruktive Unterstützung

Konstruktive Unterstützung findet auf zwei Ebenen statt – einer kognitiven und einer sozial-emotionalen. Ziel ist es, den Lernenden das eigenständige Lernen durch Hilfestellungen und die respektvolle und wertschätzende Interaktion zwischen Lehrkraft und Lernenden zu ermöglichen und so ein angenehmes und lernförderliches Klassenklima herzustellen.

Zentraler Aspekt der konstruktiven Unterstützung ist differenziertes Feedback. Es gehört mit einer Effektstärke von d=0.73 zu den lernwirksamsten Faktoren in der Meta-Studie von Hattie. Lernende benötigen Auskunft darüber, dass und warum die jeweilige Lösung nicht richtig ist. Die Fehlerkultur im Unterricht ist meist fehlerfeindlich, sollte aber stattdessen positiv-konstruktiv sein. Fehler können genutzt werden, um kognitive Konflikte durch gegenteilige Ansichten zu initiieren und sich in die Denkprozesse der Lernenden hineinzuversetzen.

Feedback funktioniert aber auch andersherum. Schülerinnen und Schülern sollte die Möglichkeit eingeräumt werden, Feedback zum Unterricht zu geben – etwa durch Bepunktung vorgegebener Aspekte (z.B. Verständlichkeit, Abwechslungsreichtum, Aufgabenumfang). Durch das Feedback von Lernenden kann nicht nur die Qualität des Unterrichts und damit die Lernleistung der Schülerinnen und Schüler gesteigert werden, es stärkt auch die Lehrer-Schüler-Beziehung. Lernende, die sich auch sozial eingebunden fühlen – etwa weil in Form eines solchen Feedbacks deutlich wird, dass auch ihre Meinung zählt, sind eher bereit, sich mehr anzustrengen und in Lernprozesse einzusteigen. Sie schaffen zudem die Grundlage für einen respektvollen Umgang zwischen Lehrkräften und Lernenden.

Abschließend muss auch die strukturierte Gesprächsführung als Aspekt der konstruktiven Unterstützung genannt werden. Diese besteht aus…

  • Transparenz und der klaren Formulierung der Zielsetzung und Erwartung.
  • die Aufmerksamkeitslenkung auf zentrale Aspekte und wichtige Äußerungen der Lernenden.
  • der Nutzung von Rückblicken und Zusammenfassungen des Unterrichts.
  • das Zurückführen zum Thema bei abschweifenden Schülerbeiträgen.
  • konstruktive Leistungsrückmeldung und Eingreifen bei Verständnisschwierigkeiten.

(vgl. Kunter, Voss 2011)

Die Basisdimensionen im Überblick

Lehrkräfte neigen dazu, die Bedeutung von Sichtstrukturen zu überschätzen, während die Bedeutung der Tiefenstrukturen für den Lernerfolg meist unterschätzt werden. Tiefenstrukturen jedoch zu optimieren, erfordert ein fundiertes fachliches, fachdidaktischers und pädagogisch-psychologisches Wissen. Die Hattie-Studie beweist, dass Lehrkräfte der zweitwichtigste Faktor für den Lernerfolg sind. Dabei ist es insbesondere die Optimierung der Tiefenstrukturen des Unterrichts, die den Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler erheblich beeinflussen kann. Die Optimierung der Tiefenstrukturen ist jedoch kein Erfolgsgarant, da Unterricht immer nur ein Angebot an die Lernenden darstellt. Ob sie dieses Angebot nutzen, bleibt immer ihnen selbst überlassen. Schülerinnen und Schüler sind der wichtigste Faktor für den Lernerfolg. Ihre individuellen Merkmale (z.B. Intelligenz, Vorwissen) bestimmen 50% des Lernerfolgs. Es ist jedoch nachgewiesen, dass die Optimierung der Tiefenstrukturen die Wahrscheinlichkeit sehr stark erhöht, dass die Lernenden das Unterrichtsangebot nutzen.

(vgl. Kunter, Trautwein 2013)

Titelbild: geraklt / pixabay.com

Baumert, J. u.a.: Teachers’ methematical knowledge, cognitive activation in the classroom, and student progress. In: American Educational Research Journal, 47 (2010), Heft 1, S.133-180.

Doyle, W.: Classroom organization and management. In: Wittstock, M: Handbook of research on teaching. 1986.

Hattie, J.: Visible learning: A synthesis of over 800 meta analyses relating to achievement. 2009.

Köller, O.: Classroom Management, konstruktive Unterstützung und kognitive Aktivierung: Kerndimensionen gelingenden Unterrichts. Vortrag an der Universität Oldenburg vom 23.09.2014

Kunter, M. und U. Trautwein: Psychologie des Unterrichts. 2013.

Lipowsky, F.: Unterricht. In: Wild, E. und J. Möller [Hrsg.]: Pädagogische Psychologie, S.73-102. 2009.

Lotz, M. und F. Lipowsky: Die Hattie-Studie und ihre Bedeutung für den Unterricht. Ein Blick auf ausgewählte Aspekte der Lehrer-Schüler-Interaktion. o.J.

Mehren, M. und R. Mehren: Über die Tiefenstrukturen des (Geographie-)Unterrichts. In: Praxis Geographie, 4 (2020), S.4-9.

Seidel, T. und R.J. Shavelson: Teaching effectiveness research in the past decade: The role of theory and research desihn in disentangling meta-analysis results. In: Review of Educational Research, 77 (2007), Heft 4, S.454-499.

Dieser Beitrag stammt von

Kevin Ruser

Kevin ist ein junger Lehrer für Geographie und Deutsch an Gymnasien und verwendet digitale Medien sehr gern in seinem Unterricht. Seine Examensarbeit schrieb er über sprachbildenden Fachunterricht.

Schreiben

Kevin schreibt seit August 2012 auf seinem eigenen Blog und veröffentlicht wöchentlich neue Artikel zu unterschiedlichen Themen. Seine Bachelorarbeit schrieb Kevin über den Einsatz des Smartphones im Geographieunterricht, seine Masterarbeit über Sprachbildung im Geographieunterricht.

Unterrichten

Der Autor hat die Fächer Geographie und Deutsch für Gymnasien studiert und arbeitet als Vertretungslehrer an einer weiterführenden Schule. Zudem ist er als Nachhilfelehrer in der Online-Nachhilfe tätig.

Kevin Ruser