Medienkompetenz ist auch in der Bildung wichtiger denn je. Doch woher kommt Medienkompetenz - insbesondere bei Erwachsenen?

Die Anforderungen an Unterricht haben sich in diesem Jahr so stark verändert wie wohl lange nicht. Durch Wegfall und Verminderung von Präsenzunterricht wird digitaler Unterricht wichtiger denn je. Damit verändern sich auch die Anforderungen an Bildung – für Kinder und Jugendliche, aber auch Erwachsene. Woher nehmen Lehrkräfte und Eltern die Kompetenzen im Umgang mit digitalen Medien zur Vermittlung ebendieser? Und woher nehmen Erwachsene allgemein diese Kompetenzen?

Im Dezember 2016 verabschiedete die Kultusministerkonferenz das Strategiepapier Kompetenzen in der digitalen Welt. Erst im Dezember 2016. Hierin verpflichten sich die Bundesländer „im Bereich der Bildung in einer mediatisierten Welt einen Schwerpunkt ihrer Arbeit zu setzen.“ (Drewes/Köster 2020) Das Kompetenzmodell hat unter anderem die Neufassung des Medienkompetenzrahmens in NRW zur Folge. Hierin wird eine modernisierte Interpretation der Anforderungen an Bildung in einer zunehmend digitalisierten Welt formuliert.

Anforderungen an Bildung sind Anforderungen an Menschen.

»Anforderungen, die an Lehrpersonen, Eltern und pädagogische Fachkräfte der Kinder und Jugendarbeit im Bildungsbereich gestellt werden, entwickeln sich im Zeitalter des digitalen Wandels stetig weiter.«
Medienberatung NRW
aus dem Vorwort der Broschüre zum Medienkompetenzrahmen NRW

Diese Formulierung ist (vermutlich nicht nur aus Sicht eines Dozenten für Medienkompetenz) problematisch. Die sich verändernden Anforderungen auch an Erwachsene werden zwar erkannt, beziehen sich aber auf die Ausbildung von Kindern und Jugendlichen. Doch woher nehmen Erwachsene selbst die nötige Medienkompetenz, um diesen Anforderungen auch nur im Ansatz gerecht zu werden? Zumal wenn erst im Dezember 2016 der Bedarf einer Anpassung der Anforderungen an (Medien-)Bildung für Kinder- und Jugendliche festgestellt wird. Zur Einordnung: 12 Jahre nach der Gründung von Facebook.

> 1 %
in Deutschland nutzen ein Smartphone*
> 1 %
in der Altersgruppe 14-49 Jahre*

Fast 70% der Menschen in Deutschland nutzen ein Smartphone, in der Altersgruppe der 14- bis 49-jährigen sind es über 95%*. Angesichts dieser Zahlen ist der Bedarf einer entsprechenden Kompetenz im Umgang mit Medien und Geräten zur Mediennutzung unbestreitbar. Doch wer soll insbesondere Erwachsenen diese Kompetenzen vermitteln – und wie? Der Medienkompetenzrahmen in NRW setzt sowohl bei Lehrkräften, aber auch bei Eltern eine Grundkompetenz voraus, deren Vermittlung in bisherigen Lehrplänen und Bildungsvorgaben überhaupt nicht vorgesehen war.

Medienkompetenz ist keine Selbstverständlichkeit.

Die Bundeszentrale für politische Bildung erkennt nicht nur einen Mangel an vorhandener Medienkompetenz von Menschen im Erwachsenenalter – unabhängig ihrer Rolle bei der Bildung von Kindern und Jugendlichen – sondern auch einen Mangel „an Grundlegungen, die kontinuierlich und zielgruppenadäquat über Bedarfslagen informieren und damit die pädagogische Medienpraxis im Erwachsenenalter in ihren Konzepten und Handlungsmodellen fundieren.“ (Griemberg 2017) Es gibt schlicht zu wenig (gute) Konzepte, die den empirisch belegten Bedarfslagen entsprechen.

Die Annahme, dass sich (notwendige) Kompetenz, beispielsweise Umgang mit Smartphones, aus Nutzung allein ergibt, kann nicht getroffen werden. Zu vielfältig sind die Nutzungsmöglichkeiten und Einsatzbereiche, zu breit gefächert das Angebot an Anwendungen – und zu unüberschaubar die möglichen Barrieren und Risiken. Zentrale Annahme bei der Erwachsenenbildung in Medienkompetenz muss sein, dass sich die Definition von Medien nicht auf klassische, allgemeine Massenmedien beschränkt, sondern die Möglichkeit zur persönlichen Teilhabe an digitalen Medien berücksichtigt. Das setzt eine Kompetenz nicht nur beim Konsum von Medien sondern auch bei der Bedienung der dafür erforderlichen Technik voraus.

Medienkompetenz ist existenziell - und deshalb Bildungsverantwortung.

Diese Kompetenzen sind in der heutigen Zeit nicht nur wünschenswert, sondern existenziell. Es ist kaum noch möglich, eine Anstellung zu finden, wenn man keinen Computer bedienen kann. Nicht, weil die Benutzung Teil des Stellenprofils wäre, sondern weil eine schriftliche Bewerbung erforderlich ist. Auch Betriebe in vollständig medienfremden Branchen, (z.B. Handwerksbetriebe) erwarten meist eine schriftliche, per E-Mail eingereichte Bewerbung. Eine zum Teil überwindbare Hürde für Erwachsene, deren Bildung nicht den Mindeststandards an deutschen Schulen aus den letzten 25 Jahren entspricht. Es fehlt an Wissen, sowohl über rein praktische Bedienung als auch über theoretische Hintergründe. Deshalb ist Medienkompetenz als Teil der Erwachsenenbildung essentieller Bestandteil der gesellschaftlichen Verantwortung von Bildungseinrichtungen, aber auch von Medien und Medienschaffenden selbst.

Eine universelle Definition oder Eingrenzung des Begriffs Medienkompetenz ist dabei so gut bzw. schlecht möglich, wie eine universelle Eingrenzung des Themenbereichs „Medien“ selbst. Die An- und Herausforderungen bei der Mediennutzung sind so individuell wie die Personen, an die sie gestellt werden. Der Unterricht in Medienkompetenz in der Erwachsenenbildung kann sich also an den Vorgaben der Kultusministerkonferenz für Kinder- und Jugendliche allenfalls orientieren. Es ist jedoch viel schwieriger, allgemeingültige und verbindliche Grundlagen festzulegen. Nicht, weil die nötigen Grundkompetenzen andere sind, sondern weil Erwachsenenbildung grundsätzlich immer die Anforderung erfüllen muss, einen erkennbaren praktischen Nutzen für die Lebenswirklichkeit zu bieten:

»Darunter zu fassen ist einerseits ein Wissen, das dem Umgang mit den Medien als Techniken zugrunde gesetzt ist. Dieses Funktionswissen wird allerdings nur dann zu erschließen und in der pädagogischen Praxis zu vermitteln sein, wenn es sich nicht allein als durch die Technik determiniertes begründet, sondern nach dem Sinn der mit dem Wissen verbundenen Anwendungen für den Menschen fragt. Als Strukturwissen ermöglicht es dem Subjekt, den disparaten medialen Informationen eine Bedeutung zu verleihen und damit die Voraussetzungen und Bedingungen des eigenen Denkens und Handeln in komplexen Medienwelten zu erkennen, so etwa die unterschiedlichen medialen Erscheinungsformen und Akteure, vor allem aber die mit ihnen verknüpften poltisch-ökonomischen [sic!] Interessen.«
Anja Hartung-Griemberg
Professorin für Kultur- und Medienbildung, Leiterin der Abteilung Kultur- und Medienbildung, PH Ludwigsburg

Erwachsenenbildung erfordert Brückenbildung zwischen theoretischem Wissen und praktischem Nutzen.

Hierbei kann das Smartphone als Beispiel für einen Zugang zur digitalen Mediennutzung dienen. Wer ein Smartphone nutzt, kommt aller Wahrscheinlichkeit nach auch mit dem Internet in Berührung. Doch was ist das Internet? Wie funktioniert es? Was bedeutet der Umgang damit, sichtbar im Alltag, aber auch im unsichtbaren, technischen Hintergrund? Welchen Nutzen und welche Folgen kann Internetnutzung haben? Die Beantwortung dieser Fragen geht über reine praktische Erschließung weit hinaus. Sie erfordert entsprechende Bildung. Und diese wiederum kann Sicherheit geben:

»Das Wissen darum, wie globale Computernetze aufgebaut sind und wessen Verfügung diese unterliegen, erlaubt es, Sicherheit im Umgang mit den Medien zu gewinnen und das Gefühl des Ausgeliefertseins rational-analytisch angehen zu können«
Bernd Schorb
emeritierter Professor für Medienpädagogik und Weiterbildung am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig

Titelbild: kreatikar / pixabay.com

Drewes, S./Köster, M. (Verantw.): Broschüre Medienkompetenzrahmen NRW. 2020.

Griemberg, A.: Medienkompetenzförderung in der Erwachsenenbildung, in: Bundeszentrale für politische Bildung/bpb (Hrsg.): Schriftenreihe Medienkompetenz (2017). S. 166-174.

Schorb, B.: Erfahren und neugierig – Medienkompetenz und höheres Lebensalter, in: Hartung, A./Reißmann, W. (Hrsg.): Medien und höheres Lebensalter. Theorie – Forschung – Praxis (2009). S. 319-337.

Dieser Beitrag stammt von

Manuel Fuß

Manuel ist studierter Online-Redakteur und leitet eine Online-Agentur. Inzwischen gibt Manuel sein Wissen über die digitale Welt als Dozent für Medienkompetenz weiter.

Schreiben

Manuel schreibt seit September 2012 auf seinem eigenen Blog zu unterschiedlichen Themen. Seine Bachelorarbeit schrieb Manuel über Kennzahlen für die Erfolgs- und Reichweitenmessung im Web. Für Unternehmen aus verschiedenen Branchen verfasst er Presse- und Web-Texte. Außerdem ist er Redakteur für die Branchenportale marktforschung.de und CONSULTING.de.

Unterrichten

Der Autor ist studierter Online-Redakteur und studierte darüber hinaus mehrere Semester Mehrsprachige Kommunikation. Während des Studiums war er als Tutor in den Fächern Redigieren und Journalistische Darstellungsformen tätig. Seine Agentur unterstützt Personen und Unternehmen bei der Umsetzung ihrer Online-Präsenzen. Zudem ist er als Dozent für Medienkompetenz in der Erwachsenenbildung tätig.

Manuel Fuß