Welcher Lerntyp bist du? Wie lernen wir?
Während in Bayern die Sommerferien gerade erst anfangen, beginnt etwa in Schleswig-Holstein wieder der Unterricht. Die Kultusministerien haben angekündigt, im neuen Schuljahr Präsensunterricht gewährleisten zu wollen – Schulschließungen solle es nicht mehr geben. Wer im letzten Schuljahr das Lernen verlernt hat, steht nun vor einem Problem: Die Angst, in der Schule nicht mehr abzuliefern, begleitet viele Schülerinnen und Schüler in das neue Schuljahr. Doch mit der richtigen Lerntechnik gelingt der Start nach den Sommerferien! Dabei spielt auch dein eigener Schreibtisch eine Rolle. Tipps für die perfekte Lernumgebung haben wir dir hier zusammengestellt.
Warum gibt es verschiedene Lerntypen?
Lernen ist ein individueller Prozess. Auch wenn die Lehrkraft im Unterricht allen Schülerinnen und Schülern dieselben Informationen unterbreitet, sind die Lernfortschritte der einzelnen unterschiedlich. Woran liegt das? Unterricht kann als eine Form der Kommunikation verstanden werden. Die Lehrkraft vermittelt Informationen oder Wissen. Die Schülerinnen und Schüler nehmen dieses Wissen auf und verarbeiten es in ihrem Kopf.
Jede*r Schüler*in decodiert die vermittelten Inhalte jedoch auf eine ganz eigene Art und Weise. Die Lehrkraft dient also im Unterricht lediglich als Vermittlung zwischen Lernenden und Lerninhalt. Zwar bereitet die Lehrkraft den Unterricht vor und die Inhalte auf, letztendlich entscheiden jedoch die Schüler*innen, was genau sie lernen und in ihrem Kopf mit bereits vorhandenem Vorwissen verknüpfen.
Doch Lernen ist ein noch komplexerer Vorgang. Die Art und Weise, wie wir am besten lernen, kann von Person zu Person variieren. Während einige besser lernen, wenn sie die Inhalte lesen, lernen andere besser, indem sie Inhalte hören oder darüber sprechen. Diese Unterschiede bezeichnet man als Lerntypen. Wir können uns dies vorstellen wie beim Bau eines Hauses: Stellen wir jedem Lernenden dieselben Materialien bereit, wird trotzdem jede*r ein anderes Haus daraus bauen.
Welche Lerntypen gibt es?
Am Prozess des Lernens sind viele unterschiedliche Sinnesorgane beteiligt. Dementsprechend unterscheiden sich auch die Lerntypen.
Der auditive Lerntyp lernt in erster Linie über das Hören und Sprechen. Ob du diesem Lerntypen zuzuordnen bist, erkennst du etwa daran, dass du beim Lernen oft die Lippen bewegst oder du den Lernstoff laut vor dich hin sagst. Kannst du dir Melodien und Songtexte gut merken, liegt das vermutlich daran, dass du auditiv lernst. Der auditive Lerntyp hat am wenigsten Probleme mit frontalem Unterricht – wenn die Lehrkraft die Inhalte mündlich vorträgt, lernen sie am besten. Auch wenn viele Lehrkräfte im Unterricht davon abraten: Der auditive Lerntyp kann für sich besser lernen, wenn beim Lernen Musik läuft. Das Aufnehmen und Anhören von Gedichten, Vokabeln oder Lerninhalten kann ebenfalls dazu beitragen, dass der auditive Lerntyp sich besser auf den Unterricht vorbereiten kann.
Musik empfindet der visuelle Lerntyp hingegen eher als störend. Auditive Reize lenken ihn ab, denn seine Aufmerksamkeit liegt auf den Augen. Der visuelle Lerntyp nimmt Informationen am besten auf, wenn er sie vor sich sieht. Fertigst du dir häufig Notizen an, erstellst Schaubilder oder kleine Skizzen, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass du visuell lernst. Die Ordner und Hefte des visuellen Lerntyps sind immer ordentlich geführt, weil sie zum Lernen benötigt werden. Sie können sich gut an Details erinnern. In Zeichnungen oder Skizzen fasst der visuelle Lerntyp selbst komplexe Lerninhalte zusammen. Ein aufgeräumter Schreibtisch ist für diesen Lerntypen besonders wichtig: Unordnung wird als Störfaktor wahrgenommen. Gehörst du zu diesem Lerntyp lernst du am besten, wenn du dir im Unterricht Notizen machst und Informationen zum Beispiel auf Lernplakaten visualisierst.
Der motorische Lerntyp ist praktisch veranlagt. Bewegung und das sofortige Umsetzen von Impulsen sind für diesen Lerntypen typisch. Er liebt praktischen, handlungsorientierten Unterricht. Gestikulierst du beim Sprechen oft mit den Händen, benutzt beim Rechnen noch deine Finger oder kaust du beim Lernen gern Kaugummi, lernst du wahrscheinlich motorisch am besten. Der Bewegungsdrang des motorischen Lerntyps kann jedoch auch zum Störfaktor werden: Andauerndes Sitzen am Schreibtisch oder in der Schule hemmt die Konzentration. Dem motorischen Lerntypen hilft es, das Lernen mit Bewegung zu verbinden. Solltest du diesem Lerntypen angehören, sprich mit deiner Lehrkraft darüber: Szenisches Inszenieren (Standbild, Rollenspiel) oder regelmäßiges Aufstehen können dir helfen, besser zu lernen.
Dem kommunikativen Lerntypen hilft es, über Inhalte zu sprechen. Im Gespräch mit anderen lernt dieser Lerntyp am besten. Er ist ein guter Redner und ein noch besserer Zuhörer. Gestaltest du den Unterricht aktiv mit und beteiligst dich mit häufigen Wortmeldungen? Unterhältst du dich oft und gerne auch über Unterrichtsthemen? Dann ist es wahrscheinlich, dass du ein kommunikativer Lerntyp bist. Interaktive und offene Unterrichtsformate liegen dem kommunikativen Lerntyp am besten.
Manche Lerntypen weichen von diesem Standard ab
Der personenorientierte Lerntyp ist besonders auf eine sympathische Lehrkraft angewiesen, die gut erklären kann. Schüler*innen dieses Lerntyps sitzen gern in der Nähe des Lehrerpults und suchen selbst auf dem Pausenhof Kontakt zu einigen Lehrkräften. Bei einem guten Draht zur Lehrkraft lernt dieser Lerntyp nahezu alles. Ist die Beziehung jedoch nicht gut, kann dieser Lerntyp sein Potential nicht entfalten.
Auffallend für den personenorientierten Lerntyp sind Selbstzweifel und Leistungsschwankungen. Eltern und Freunde können den personenorientierten Lerntypen unterstützen, indem sie nicht schlecht über Lehrkräfte sprechen.
Würden wir das Kommunikationsmodell auf den medienorientierten Lerntypen auslegen, würde die Lehrkraft als Sender entfallen. Dieser lernt mit digitalen Medien und ist erkennbar an seiner andauernden Begeisterung für technische Zusammenhänge. Videofilme, Lernsoftwares, aber auch Büchern und Arbeitshefte gehören zum Lernalltag dieses Lerntyps dazu.
Eltern sollten jedoch darauf achten, dass das Kind nicht vereinsamt. Indem zur Bildung von Arbeitsgruppen angeregt wird, können die Kinder gemeinsam lernen – auch mit digitalen Medien.
Diese theoretischen Lerntypen finden wir in der Praxis jedoch selten wieder. Isolierte Lerntypen sind die absolute Ausnahme. Stattdessen treten häufig Mischformen auf. Schubladendenken funktioniert hier also nicht.
Wie lernen wir?
Ganz so einfach ist es dann leider doch nicht. Lernen ist ein komplexer Prozess, bei dem verschiedene Faktoren berücksichtigt werden müssen. Lernen ist eine bewusste Aktivität, kann also als aktive Informationsverarbeitung beschrieben werden. Damit Lernen gelingt, sind drei individuelle Faktoren von Bedeutung:
- Vorwissen / verfügbare Wissensstrukturen
- Intelligenz/ allgemeine kognitive Fähigkeiten
- Motivation/ motivationale Voraussetzungen
Der Lerneffekt wächst dabei mit der stärkeren Ausprägung der einzelnen Komponenten und nimmt bei geringerer Ausprägung ab. Wesentlich für das Lernen sind also die Motivation sowie die Intelligenz der Lernenden. Unser Gehirn arbeitet jedoch so, dass wir Informationen in einem semantischen Netzwerk miteinander verknüpfen. Gibt es in unserem Gehirn also bereits ähnliche oder verwandte Informationen, können wir neues Wissen mit diesem Verknüpfen. Stellen wir uns das Gehirn als ein riesiges Archiv mit vielen Aktenschränken vor: Durch die Aktivierung des Vorwissens besteht bereits ein Ordner, der zu diesem Thema passt. Neue Informationen können also einfach in diesen Ordner gelegt werden und sind so mit den anderen Informationen verknüpft. Verknüpfen wir Informationen mit bereits vorhandenem Wissen, können wir uns Dinge schneller und besser merken.
Wie wird Wissen im Langzeitgedächtnis gespeichert?
Je häufiger und intensiver wir Informationen gemeinsam verarbeiten, desto stärker wird ihre Verbindung im semantischen Netzwerk. Durch wiederholende Einübung gelingt es also, Informationen in das Langzeitgedächtnis zu übertragen. Doch der Weg dahin ist lang: Unser Gedächtnis besteht aus drei Speichern, die – ähnlich wie bei einem Computer – unterschiedliche Aufgaben erfüllen.
Ohne dass wir es bewusst wahrnehmen, selektiert das sensorische Gedächtnis alle Reize, die auf uns wirken. Innerhalb von Millisekunden entscheidet es, ob ein Reiz wichtig genug ist, um wahrgenommen zu werden. Es dient quasi als Informationsfilter, um unser Gehirn nicht zu überlasten.
Gibt das sensorische Gedächtnis einen Reiz weiter, landet dieser im Kurzzeitgedächtnis. Dieses fungiert als Arbeitsspeicher und ist in unserem Gehirn für die bewusste Verarbeitung von Informationen verantwortlich. Auch hier gibt es eine Schutzvorrichtung, um das Arbeitsgedächtnis nicht zu überlasten: Die Kapazität ist auf etwa 7 Informationseinheiten begrenzt, unsere Aufmerksamkeit in der Regel nur auf eine Sache fokussierbar.
Das Kurzzeitgedächtnis befindet sich in ständigem Austausch mit dem Langzeitgedächtnis. Dieses ist der permanente Speicher in unserem Gehirn. Das Kurzzeitgedächtnis kann hier Informationen, die nicht verloren gehen sollen, ablegen und diese immer wieder abrufen. So können sie erneut in den Fokus unseres Arbeitsgedächtnisses gerufen werden, um hieraus etwa ein Verhalten folgen zu lassen. Unser Langzeitgedächtnis hat eine nahezu unbeschränkte Informationskapazität. Aufgrund der semantischen Netzwerke fällt es uns zudem leichter, Neues zu lernen, je mehr wir bereits wissen.
Warum vergessen wir?
Nicht alles, was wir wahrnehmen schafft diesen Sprung in das Langzeitgedächtnis tatsächlich. Aus unterschiedlichen Gründen können Informationen falsch oder gar nicht verknüpft werden und somit schließlich in Vergessenheit geraten. Der deutsche Psychologe Hermann Ebbinghaus untersuchte das Vergessen von Gelerntem und fand heraus, dass längst nicht alle Inhalte tatsächlich im Langzeitgedächtnis gespeichert werden.
“Ebbinghaus’sche Kurve”
Nur 23% des Gelernten konnte nach 6 Tagen noch wiedergegeben werden. Ebbinghaus erntete für seinen Versuch jedoch Kritik – zum Beispiel, weil er mit sinnlosen Silben durchgeführt wurde. Eine Verknüpfung im semantischen Netzwerk war daher nicht möglich. Auch Christian Michel und Felix Novak führten ähnliche Experimente durch und fanden heraus: Nach 6 Tagen beherrschten Schüler*innen noch 90% der gelernten Vokabeln. Das Vergessen ist also auch abhängig vom zu lernenden Stoff und kann daher keine Ausrede mehr sein.
Atkinson, R. und R. Shiffrin: Human memory. A proposed system and its control processes.
Falk-Frühbrodt, C.: Lernen. (Institut für integrative Lerntherapie und Weiterbildung)
Hattie, J. und W. Beywl, K. Zierer: Lernen sichtbar machen für Lehrpersonen.
Kraus, A. et al.: Handbuch schweigendes Wissen: Erziehung, Bildung, Sozialisation und Lernen.
Loderer, K. und M. Daumiller, M. Dresel: Wie motiviere ich mich beim Lernen zuhause?
Dieser Beitrag stammt von
Kevin Ruser
Kevin ist ein junger Lehrer für Geographie und Deutsch an Gymnasien und verwendet digitale Medien sehr gern in seinem Unterricht. Seine Examensarbeit schrieb er über sprachbildenden Fachunterricht.
Schreiben
Kevin schreibt seit August 2012 auf seinem eigenen Blog und veröffentlicht wöchentlich neue Artikel zu unterschiedlichen Themen. Seine Bachelorarbeit schrieb Kevin über den Einsatz des Smartphones im Geographieunterricht, seine Masterarbeit über Sprachbildung im Geographieunterricht.
Unterrichten
Der Autor hat die Fächer Geographie und Deutsch für Gymnasien studiert und unterrichtet an einer weiterführenden Schule. Er hat bereits Lehrkräfte im Bereich “Digitale Medien im Unterricht” geschult und an unterschiedlichen Schulformen Erfahrungen sammeln können.
Kevin Ruser
Über den Autor