Wie gelingt Sprachbildung im Fachunterricht?
Wenn Kinder eine Sprache lernen, geschieht dies zunächst im Kindergarten und zu Hause. Hier bieten sich Kindern eine Vielzahl von Gelegenheiten, Sprache zu erfahren, zu verwenden und somit zu erlernen. Die Spontaneität und Flexibilität des alltäglichen Lernens von Sprache erfahren mit dem Eintritt in die Schule einen Bruch. Die sprachliche Bildung rückt verstärkt in den Fokus sprachlicher Fächer, respektive des Deutschunterrichts.
Insbesondere vor dem Hintergrund der zunehmenden Heterogenität von Lerngruppen, stellt dieses Vorgehen Schülerinnen und Schüler (SuS) und Lehrerinnen und Lehrer (LuL) vor Herausforderungen. Mit dem Eintritt in die Sekundarstufe I differenziert sich der Fachunterricht zunehmend im Vergleich zur Primarstufe: Er besteht aus einer Vielzahl einzelner Unterrichtsfächer, wird sprachlich anspruchsvoller „und verlangt daher von den SuS (fach- und bildungs-)sprachliche Fähigkeiten, die ihnen die Erfassung und Auseinandersetzung mit komplexer werdenden Fachinhalten ermöglichen“ (Oleschko, Weinkauf, Wiemers 2016).
Nicht nur für Muttersprachler, sondern besonders für SuS, die Deutsch als Zweit- oder Fremdsprache lernen, stellen inadäquate Sprachfähigkeiten ein immenses Lernhindernis dar. Sprache ist in der Schule jedoch stets präsent. Weil Unterricht immer anspruchsvoller werde, müsse sich deshalb auch das sprachliche Lernen entwickeln. Vergleichsstudien wie PISA zeigten zuletzt jedoch eine eher gegensätzliche Entwicklung: Die Lesekompetenz nahm im Vergleich zum vorangehenden Betrachtungszeitraum rapide ab, die Anzahl leistungsschwacher Schüler stieg an.
Warum ist sprachbildender Fachunterricht erforderlich?
Schulleistungsvergleichsstudien wie PISA, IGLU oder TIMMS zeigten jüngst erneut, dass es einen Zusammenhang zwischen sprachlichen Kompetenzen im Deutschen und der Leistung im Fachunterricht gibt. So belegt etwa die PISA-Studie 2015 signifikante Unterschiede in der naturwissenschaftlichen Kompetenz zwischen Jugendlichen mit (M=471) und Jugendlichen ohne Zuwanderungshintergrund (M=532).
»Der Ausbau sprachlicher Kompetenzen führt nachweislich zu einem Zugewinn fachlicher Kompetenzen. Die fachliche Leistung ist unmittelbar vom sprachlichen Können abhängig.«
Dass vorherige Studien zu ähnlichen Ergebnissen kamen, sei ein Indiz für den Zusammenhang zwischen sprachlichen und fachlichen Kompetenzen. Auch die aktuelle PISA-Studie stellt diesen Zusammenhang her, wenn sie die Leistungen von SuS mit Zuwanderungshintergrund mit denen von SuS ohne entsprechenden Hintergrund vergleicht. Ursächlich für diese Beobachtung dürfte die Varietät der verschiedenen Fachsprachen sein, die sich je nach Fachbereich immens voneinander unterscheiden. Deutlich wird dies am Beispiel des Fachbegriffes „Hyperbel“, welcher gemäß einschlägigen Lexiken in der Mathematik eine Kurve bezeichnet, während er im Deutschunterricht das rhetorische Mittel der Übertreibung meint.
Sprachbildender Fachunterricht würde damit eine „Win-Win-Situation“ darstellen: Die SuS erfahren einen Zugewinn an sprachlicher Kompetenz, von der wiederum das Fach hinsichtlich der Leistung der SuS profitiert.
Was müssen Schülerinnen und Schüler sprachlich können?
Sprachkompetenz umfasst nicht nur das Sprechen und (Zu-)Hören. Neben diesen konzeptionell mündlichen Sprachmöglichkeiten sind auch die durch konzeptionelle Schriftlichkeit geprägten Fähigkeiten des Lesens und des Schreibens Teil der Sprachkompetenz. Sprache erhält somit auf allen Ebenen des Unterrichts eine Relevanz: Im Unterrichtsgespräch, beim Lesen eines Fachtextes, dem Beantworten einer Frage oder dem schriftlichen Verfassen einer Hausaufgabe.
Sprache ist der Schlüssel zum Lernerfolg. Da die Sprache in der Schule sich jedoch wesentlich von der Alltagssprache unterscheidet, müssen SuS zunächst die Unterscheidung der sprachlichen Register lernen und Kompetenzen in den Registern Bildungssprache und Fachsprache erwerben. Diese sind geprägt durch ihre konzeptionelle Schriftlichkeit, haben eine komplexe Satzstruktur und weisen einen hohen Anteil an Fachbegriffen auf. SuS müssen Fachsprache verstehen und verwenden können sowie Sachverhalte und Darstellungen ausdrücken können. Einher geht dies mit der Fähigkeit, fach- und adressatengerecht präsentieren zu können. Schülerinnen und Schüler benötigen demnach eine komplexe und differenzierte Sprachkompetenz. Diese auszubilden, ist Ziel der Institution Schule.
Die Rolle der Lehrkraft im sprachbildenden Fachunterricht
Während die PISA-Studie negative Tendenzen in der Entwicklung der sprachlichen Leistung der SuS offenbart, wird vor dem Hintergrund der soeben aufgezeigten Sprachprobleme einmal mehr deutlich, dass Sprachbildung eine fächerübergreifende Aufgabe sein muss. Grundlage für das Funktionieren sprachbildenden Fachunterrichts sind im Sinne des ganzheitlichen Lernens und der durchgängigen Sprachbildung also die Lehrkräfte aller Fächer und Jahrgangsstufen.
Damit die SuS wissen, was von ihnen erwartet wird, sollten Lehrkräfte die Lernziele transparent machen. Derartige Anforderungen liegen auch der Leistungsbewertung zugrunde. Fragestellungen werden deshalb durch Operatoren eingeleitet, die eine bestimmte Handlung bzw. Form der Bearbeitung erfordern. Operatoren dienen also der Transparenz der Anforderungen der Lehrkräfte. Da diese jedoch Teil der Bildungs- oder Fachsprache sind, müssen Lehrkräfte ihren SuS den Umgang mit Operatoren transparent vermitteln. In den meisten Bundesländern geschieht dies im Laufe der Sekundarstufe I.
Lehrkräfte stehen darüber hinaus vor der besonderen Aufgabe, geeignete Maßnahmen und Aufgabenformate zur Sprachbildung zu sammeln und einen bewussten Umgang mit der Fachsprache zu gestalten. Dabei müssen LuL stets von den aktuellen Fähigkeiten der SuS ausgehen und auf diesen aufbauen.
Das Aufbauen auf dem Kenntnisstand der SuS setzt eine eingehende Diagnose voraus. Diese ist notwendig, um die Ausgangssituation bestimmen und die erforderlichen Maßnahmen und Lernziele ermitteln zu können. Auf diesen Ergebnissen aufbauend müssen Lehrkräfte Material und Lerninhalte zur Verfügung stellen. Aufgrund des bereits beschriebenen Zusammenhangs zwischen Sprache und Lerninhalt ist es unumgänglich, Fachsprache und Fachinhalte miteinander zu verknüpfen. Aufgabe der LuL ist es dann, zur Erreichung der festgesetzten Lernziele beizutragen.
Lehrkräfte stehen zunächst in der Aufgabe, das Register der Alltagssprache von den Registern der Bildungs- und Fachsprache abzugrenzen. Erforderlich ist deshalb die fächerübergreifende Kooperation des Kollegiums, um Dopplungen und/oder Auslassungen zu vermeiden.
Grundsätzlich nehmen Lehrkräfte im Rahmen ihrer Unterrichtsvorbereitung die Diagnostik ihrer Lerngruppe vor. Für den sprachbildenden Fachunterricht muss hierbei ein zusätzlicher Fokus auf die sprachliche Ausgangslage der SuS gelegt werden, um darauf aufzubauen.
Damit alle SuS ungeachtet ihrer individuellen Voraussetzungen die zuvor festgelegten Lernziele erreichen können, ist bei der Aufbereitung des Unterrichts ein besonderer Schwerpunkt auf sprachliche Differenzierung zu legen. Hierfür kann es erforderlich sein, Material neu zu konzipieren oder bereits vorhandenes Material entsprechend zu reformulieren.
Im Unterricht nehmen LuL die Rolle eines Lernbegleiters ein und schaffen Übungs- und Performanzsituationen, in denen SuS ihre Sprachkompetenzen ausbauen können. Dabei dienen Lehrkräfte immer auch als Sprachvorbild und bieten differenzierte Hilfestellungen (Scaffolding) an, um SuS bei ihrem (Sprach-)Lernprozess zu unterstützen. Abschließend bleibt es unverändert Aufgabe der Lehrkräfte, die Leistungen sowie das Erreichen der Lernziele einzuschätzen und zu bewerten. Dafür kann auch außerhalb von Prüfungssituationen das korrigierende Eingreifen bei sprachlichen Mängeln hilfreich sein.
Grundlagen für das Gelingen sprachbildenden Fachunterrichts
Sprachbildender Fachunterricht gelingt durch…
- das fächerübergreifende Zusammenarbeit aller Lehrkräfte, die Sprachbildung zur Querschnittsaufgabe der Institution Schule machen und als Sprachvorbild fungieren.
- eine Unterrichtsgestaltung, die auf den individuellen Voraussetzungen der SuS basiert, ihnen ausreichend Zeit und individuelle Lernwege einräumt und die Mehrsprachigkeit der Lerngruppe integriert (Differenzierung, Elementarisierung).
- schriftnahes, operatorgeleitetes Arbeiten und authentische Sprach- und Schreibanlässe, um ausreichend Performanz zu ermöglichen (Antworten in ganzen Sätzen, Schreibaufträge). Sprachbildender Fachunterricht wird prozessorientierter und schult alle Aspekte der Sprachkompetenz.
- das Zusammenwirken sprachlicher wie fachlicher Lernziele und Transparenz.
- Erlernen und Aufbau fachspezifischer Sprachstrukturen und dem Bewusstsein der verschiedenen Register. Fachbegriffe, Wortfelder und Redemittel werden erklärt und deren Verwendung transparent eingefordert. Mündliche Äußerungen werden korrigiert und schriftliche Texte überarbeitet.
- Wissen über typische Sprachmuster (z.B. „Was gehört in eine Stellungnahme?“), Textbaupläne und Formulierungshilfen.
- den gezielten und sprachbewussten Einsatz unterschiedlicher Darstellungsformen und das Übertragen von Informationen in andere Darstellungsformen (kontinuierliche Texte in diskontinuierliche Texte umwandeln).
- das Vermitteln von Lese- und Schreibstrategien (z.B. Methodenbausteine/-seiten) und das inhaltliche sowie sprachliche Vorentlasten von Texten.
BiSS-Trägerkonsortium [Hrsg.]: Sprachbezogene Unterrichtsentwicklung Sprachliche Bildung im Elementarbereich. 2019.
Forschungsbereich beim Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) GmbH: Lehrerbildung in der Einwanderungsgesellschaft Qualifizierung für den Normalfall Vielfalt. 2016.
Gasteiger-Kicpera, Barbara: Können wir durch einen ganzheitlichen Ansatz sprachlicher Bildung mehr erreichen als durch Sprachförderprogramme? In: Christa Kieferle, Eva Reichert-Garschhammer und Fabienne Becker-Stoll [Hrsg.]: Sprachliche Bildung von Anfang an. Strategien, Konzepte und Erfahrungen. 2013, S.249-253.
Goethe-Institut e.V. [Hrsg.]: Sprachbildung in allen Fächern. 2014.
Gogolin, Ingrid: Durchgängige Sprachbildung. 2019.
Halliday, Michael: Spoken and written language. 1985.
Heimes, Alexander: Die Integration von Sprach- und Fachlernen, Scaffolding und Diskurskompetenz. Bilingualer (Geschichts-)Unterricht als Beispiel für sprachsensiblen Fachunterricht. In: Katharina Grannemann, Sven Oleschko und Christian Kuchler [Hrsg.]: Sprachbildung im Geschichtsunterricht. Zur Bedeutung der kognitiven Funktion von Sprache. 2018, S.201-224.
Kultusministerkonferenz (KMK): Inklusive Beschulung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 20.10.2011.
Leisen, Josef: Praktische Ansätze schulischer Sprachförderung – Der sprachsensible Fachunterricht. 2011.
Oleschko, Sven und Benjamin Weinkauf, Sonja Wiemers: Praxishandbuch Sprachbildung Geographie. Sprachsensibel unterrichten – Sprache fördern. 2016.
Dieser Beitrag stammt von
Kevin Ruser
Kevin ist ein junger Lehrer für Geographie und Deutsch an Gymnasien und verwendet digitale Medien sehr gern in seinem Unterricht. Seine Examensarbeit schrieb er über sprachbildenden Fachunterricht.
Schreiben
Kevin schreibt seit August 2012 auf seinem eigenen Blog und veröffentlicht wöchentlich neue Artikel zu unterschiedlichen Themen. Seine Bachelorarbeit schrieb Kevin über den Einsatz des Smartphones im Geographieunterricht, seine Masterarbeit über Sprachbildung im Geographieunterricht.
Unterrichten
Der Autor hat die Fächer Geographie und Deutsch für Gymnasien studiert und arbeitet als Vertretungslehrer an einer weiterführenden Schule. Zudem ist er als Nachhilfelehrer in der Online-Nachhilfe tätig.
Kevin Ruser
Über den Autor