Die derzeitige Lage macht es erforderlich, viele Klassen online zu unterrichten. Aber wie geht guter Fernunterricht?

Lehrkräfte sind Experten für das Lehren und Lernen. Sie wissen, wie man Schülerinnen und Schüler motiviert, wie man Unterricht plant und durchführt und wie Wissen vermittelt wird. Außerdem haben sie gelernt, wie guter Unterricht aussieht und wie sie ihren Unterricht reflektieren und verbessern können. Dennoch stellt die derzeitige Situation viele Lehrkräfte vor eine große Herausforderung, da sie von ihnen etwas abverlangt, was sie so nicht gelernt haben. Plötzlich fallen wesentliche Aspekte des Unterrichts weg oder sind an die technische Ausstattung und damit verbundene Kompetenzen gekoppelt. Schülerinnen und Schüler sollen plötzlich lernen, ohne dass eine Lehrkraft anwesend ist – von Zuhause. Wie gelingt guter Fernunterricht?

Merkmale guten Unterrichts nach Hilbert Meyer

Der deutsche Pädagoge Hilbert Meyer stellte in der Vergangenheit zehn Kriterien guten Unterrichts vor, welche seit jeher als Grundlagenwissen der Lehrkraftbildung verstanden werden. Viele der von Meyer aufgestellten Gütekriterien decken sich auch mit den Ergebnissen der Hattie-Studie und können deshalb empirisch belegbar als Kriterien guten Unterrichts angeführt werden.

Merkmal Erläuterungen
Klare Strukturierung
Der Unterricht weist eine erkennbare Struktur (roter Faden) auf und ist in sinnvolle Unterrichtsschritte gegliedert. Es gibt klare Aufgabenstellungen und das Ziel der Unterrichtsstunde ist allen Lernenden klar. Regeln und Routinen sind Teil des Unterrichts.
Lernzeit
Gutes Zeitmanagement, Pünktlichkeit und Rhythmisierung des Unterrichtsablaufs maximieren den Anteil aktiver Lernzeit. Unterrichtsstörungen werden präventiv unterbunden.
Lernförderliches Klima
Gegenseitiger Respekt und Wertschätzung sowie das verbindliche Einhalten von Regeln prägen ein lernförderliches Klassenklima. Die Schülerinnen und Schüler nehmen beim Lernen Rücksicht aufeinander. Es gibt kein aggressives Verhalten unter den Lernenden.
Inhaltliche Klarheit
Aufgaben und Erwartungen an die Lernenden sind transparent und verständlich gestellt. Der Unterricht findet auf einem angemessenen Niveau statt und knüpft an das Vorwissen der Lernenden an.
Sinnstiftende Kommunikation
Schülerinnen und Schüler werden aktiv in Planungsprozesse eingebunden. Es finden aktive Diskussionen statt und Lernende machen ihren Lernfortschritt mit Lerntagebüchern oder durch Schülerfeedback sichtbar.
Methodenvielfalt
Eine Vielzahl von Methoden und Sozialformen macht den Unterricht abwechslungsreich und fördert die Methodenkompetenz der Lernenden. Lehrkräfte gewährleisten ein abwechslungsreiches und umfangreiches Angebot.
Individuelles Fördern
Freiräume, Geduld und Zeit ermöglichen den Lernenden ein individuelles Lernen. Schülerinnen und Schüler erhalten die Möglichkeit, eigene Lernpfade auszuprobieren und in ihrem eigenen Tempo zu arbeiten. Lerndiagnostik und Binnendifferenzierung ermöglichen einen individualisierten Unterricht für alle Schülerinnen und Schüler.
Intelligentes Üben
Das Vermitteln von Lern- und Arbeitsstrategien befähigt die Lernenden zum selbstständigen Lernen und Arbeiten. Die Lehrkraft unterstützt diese Prozesse durch gezielte Hilfestellungen.
Transparente Leistungserwartung
Das Transparentmachen der Lernziele und Erwartungen unterstützt die Lernenden beim Lernen. Förderorientierte Rückmeldungen geben den Schülerinnen und Schülern zudem ein Feedback zu ihrem Lernfortschritt.
Vorbereitete Umgebung
Sauberkeit, Ordnung sowie eine funktionale Einrichtung schaffen eine förderliche Lernumgebung.

nach: Meyer, H.: Was ist guter Unterricht? In: PADUA, 9 (2014), S.75-83.

Wie geht guter Fernunterricht?

Die Möglichkeiten von Lehrerinnen und Lehrern sind keinesfalls begrenzt, wenn der Unterricht nicht mehr im Klassenzimmer stattfindet. Auch im Internet gibt es eine Vielzahl an Websites und Tools, die verschiedene Sozial- und Lernformen ermöglichen. Die einfachste von ihnen ist die Videokonferenz, bei der regulärer Unterricht – etwa mit dem Schulbuch und einem digitalen Whiteboard – ohne die Präsenz im Klassenzimmer stattfinden kann. Mögliche Tools für Videokonferenzen stellen wir euch hier vor.

Fernunterricht kann jedoch auch anders aufgebaut und umgesetzt werden, ohne an Qualität einzubüßen. Eine weitere Möglichkeit ist das kollaborative Arbeiten an Projekten. Der Kreativität der Lernenden sind hierbei nahezu keine Grenzen gesetzt.

Im Fernunterricht ist ein Aufbrechen der Strukturen erforderlich. Es ist nicht lernförderlich, wenn Lernende von 8:00 Uhr bis 13:00 Uhr oder darüber hinaus vor dem Computer sitzen und Vorträgen der Lehrkräfte zuhören. Erforderlich ist viel mehr eine offene Strukturierung, die auch das fächerübergreifende Arbeiten ermöglicht. Lehrkräfte nehmen hierbei die Rolle des Lernbegleiters ein, schaffen ein Lernangebot und bieten Unterstützungsmöglichkeiten, während Schülerinnen und Schüler eigenverantwortlich an der fristgerechten Fertigstellung ihrer Projektarbeit arbeiten können.

Die Projektarbeit löst dabei gleichzeitig die feste Rhythmisierung des Unterrichts ab. Es können “Online-Sprechstunden” angeboten werden, bei denen Lehrkräfte Fragen beantworten oder Hilfestellungen anbieten. Eine verpflichtende Onlinepräsenz entfällt somit weitestgehend und räumt den Lernenden Freiraum für ihre Projektarbeit ein. Lehrkräfte bleiben dabei während der ursprünglichen Unterrichtszeit und darüber hinaus für ihre Lerngruppen erreichbar. Um Eltern zu Hause zu entlasten, wird den Schülern und Schülerinnen geraten, während der regulären Schulzeit zu arbeiten, weil die Lehrkräfte hier eine Online-Erreichbarkeit gewährleisten.

Guter Unterricht lässt Lernende Selbstwirksamkeit erfahren.

Lehrende fungieren als Lernbegleiter. Sie bieten Hilfestellungen an, eröffnen neue Möglichkeiten, legen aber keinen Weg fest. Schülerinnen und Schüler arbeiten weitestgehend selbstbestimmt. Lehrkräfte sorgen dafür, dass auch online ein lernförderliches Klassenklima herrscht. Sie unterbinden Konflikte.

Die erforderliche inhaltliche Klarheit bleibt erhalten. Lehrkräfte stellen ihre Erwartungen und Lernziele transparent dar. Lernende veranschaulichen ihren Lernfortschritt (z.B. in Portfolios oder einem Lerntagebuch) und machen Missverständnisse somit für die Lehrkraft deutlich. Ein solches Vorgehen ermöglicht sowohl die Produkt- wie auch die Prozessorientierung im Unterricht und gibt den Lehrkräften die Möglichkeit einer förderorientierten Rückmeldung.

Auch außerhalb des Klassenraumes wird der regelmäßige Austausch gewünscht. Neben den freiwilligen Online-Sprechstunden sollten deshalb einige wenige Pflichtsitzungen vereinbart werden, um Kommunikation, Reflexion und Diskussion zu ermöglichen. Hierbei können auch Lernstrategien vermittelt werden, um die Fähigkeit zum selbstgesteuerten Lernen zu unterstützen. Darüber hinaus steht es Schülerinnen und Schülern frei, in eigenen Videokonferenzen gemeinsam an ihren Projekten zu arbeiten.

Guter Unterricht ermöglicht den Lernenden durch individualisierte Lernangebote einen systematischen Erwerb von Fähigkeiten.

Das Internet bietet einen gigantischen Methodenpool, den Lehrkräfte für ihre Lerngruppen begrenzen sollten. Die Vorauswahl durch Lehrpersonen sichert die Funktionalität, den Datenschutz und die Sicherheit des Angebots und erleichtert, bei Fragen der Schülerinnen und Schüler eine Antwort zu finden. Lehrkräfte eröffnen so die Methodenvielfalt für das Lernen ihrer Klassen und können dieses bewusster begleiten.

Einige Tools für das kollaborative Arbeiten im Fernunterricht haben wir euch hier zusammengestellt.

Die Arbeit an Projekten schafft für Lernende viele Freiheiten und ermöglicht individuelles Lernen. Lehrkräften obliegt weiterhin die Aufgabe der Lerndiagnostik und der Binnendifferenzierung, um für alle Schülerinnen und Schüler ein geeignetes Angebot zu schaffen. Die Ausgestaltung des Projekts obliegt ebenfalls den Lernenden und gewährleistet somit ein Lernprodukt auf Grundlage individueller Voraussetzungen.

Lehrkräfte bieten lernbegleitend die Vermittlung von Lernstrategien an, eröffnen den Lernenden neue Möglichkeitenund bieten durchgehende Hilfeleistung an. Sie gestalten ihre Erwartungen transparent und legen einen großen Wert auf den Lernprozess. Ein bestimmtes Produktformat wird nicht erwartet.

Der Lernumgebung sind im Fernunterricht kaum Grenzen gesetzt, da das außerschulische Lernen explizit gefordert wird. Wichtig ist eine ruhige und geordnete Umgebung, die nicht zu viel Ablenkungspotenzial hat. Denkbar sind ruhige Gärten oder Parks oder der eigene Schreibtisch.

Hier findet ihr Tipps für die perfekte Lernumgebung.

Titelbild: Sandra Schoen / pixabay.com

Meyer, H.: Praxisbuch: Was ist guter Unterricht? 2004.

Meyer, H.: Was ist guter Unterricht? In: PADUA, 9 (2014). S.75-83.

Petersen, S. und T. Unruh: Guter Unterricht – Handwerkszeug für Unterrichtsprofis. 2012.

Funktioniert Lernen auf Distanz?

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Spiele gehören auch im digitalen Fernunterricht dazu. Sie können das Klassenklima fördern, Lernende motivieren und gegen Stress und Langeweile helfen.

Dieser Beitrag stammt von

Kevin Ruser

Kevin ist ein junger Lehrer für Geographie und Deutsch an Gymnasien und verwendet digitale Medien sehr gern in seinem Unterricht. Seine Examensarbeit schrieb er über sprachbildenden Fachunterricht.

Schreiben

Kevin schreibt seit August 2012 auf seinem eigenen Blog und veröffentlicht wöchentlich neue Artikel zu unterschiedlichen Themen. Seine Bachelorarbeit schrieb Kevin über den Einsatz des Smartphones im Geographieunterricht, seine Masterarbeit über Sprachbildung im Geographieunterricht.

Unterrichten

Der Autor hat die Fächer Geographie und Deutsch für Gymnasien studiert und arbeitet als Vertretungslehrer an einer weiterführenden Schule. Zudem ist er als Nachhilfelehrer in der Online-Nachhilfe tätig.

Kevin Ruser